Schweigen ist nicht immer Gold - Wenn in Organisationen geschwiegen wird ...

Kennen Sie das aus Ihrem Betrieb? Irgendwie läuft etwas nicht rund – es gibt Bedenken zur bestehenden Situation - man hätte eine Idee, wie etwas besser laufen könnte – jemand wird gemobbt oder ungerecht behandelt – alle wissen es, aber niemand sagt etwas.

Mir ist vor kurzem ein Fachartikel des deutschen Psychologen und Organisationsentwickler Michael Knoll unter die Finger gekommen, der genau diese Thematik anspricht: das (Ver-)Schweigen in Organisationen. Da ich selbst seit drei Jahren darüber staune und rätsle, wie in einer mir nahestehenden Organisation Missstände und Ungerechtigkeiten passieren und gesehen werden, aber scheinbar niemand etwas sagt und dagegen tut, fällt mir dieses Phänomen immer häufiger auf. Und es betrifft nicht nur Betriebe, Teams und Arbeitsbereiche, sondern geht bis hinein in Familiensysteme, in die gegenwärtige Politik und Gesellschaft.

Was sind Gründe, warum ge- und verschwiegen wird?
Zunächst: Nichts sagen ist nicht dasselbe wie (ver-)schweigen. Die Abwesenheit von Sprechen kann einfach Ausdruck dessen sein, dass es nichts zu sagen gibt, keine Bedenken oder Ideen da sind, die zu äußern wären.
Verschweigen und Schweigen hingegen ist ein eigenes Verhalten, wofür es Motive, Gründe und Einflussfaktoren von innen (persönlich) und außen (Umfeld) gibt.

Und dieses Schweigen und Verschweigen muss nicht immer destruktiv sein.
So kann Schweigen auch dazu führen, dass z.B. ein Team ungestört eine Arbeit ausführen kann. Oder das Schweigen von Führungskräften kann ermutigend für Mitarbeiter*innen sein, eigene Ideen zu äußern oder Initiativen zu ergreifen. Führung heißt nicht, immer aktiv zu sein und die Kommunikation zu dominieren. Führung kann sich auch darin zeigen, sich zurückzunehmen.
Der Psychologe Michael Knoll formuliert sechs „Take-Away-Messages" zum destruktiven Schweigen in Organisationen. Drei möchte ich in diesem Blog vorstellen, die weiteren drei und wie wir mit dem Schweigen umgehen können, stelle ich im nächsten Blog (21. Juni 2024) vor.

1. Die Motive und Gründe zu schweigen sind vielfältig
2. Faktoren auf verschiedenen Ebenen beeinflussen das Schweigen
3. Schweigen ist ein Prozess – und es ist ein sozialer Prozess

1. Die Motive und Gründe zu schweigen sind vielfältig:
Warum äußern Mitarbeitende also nicht ihre Fragen, Bedenken, Meinungen oder Ideen?
Vielleicht

• aus Furcht (vor negativen Folgen)
• aus Resignation („Es nutzt eh nix, wenn ich was sage.")
• aus Rücksicht auf andere (nicht jemanden bloßstellen wollen oder Schaden zufügen) – das nennt man „prosoziales Schweigen"
• aus egoistischen oder opportunistischen Gründen („Wenn es dir nicht passt, mach es doch besser!")
• aus Konkurrenzdenken und Böswilligkeit (einen Wissensvorsprung für sich behalten oder jemandem schaden wollen) – das nennt man dann „deviantes Schweigen"
• aus Scham, Schuld, Unsicherheit.
Fällt Ihnen noch etwas ein?

2. Persönliche und Umfeld-Faktoren auf verschiedenen Ebenen beeinflussen das Schweigen:
Dass kritische Themen angesprochen werden, hängt einerseits von der Person ab: Werde ich grundsätzlich persönlich initiativ? Habe ich Selbstvertrauen? Bringe ich entsprechende verbale und soziale Kompetenzen mit?

Andererseits hängen Verschweigen oder Ansprechen davon ab, wie das Umfeld aussieht: Signalisiert die Führungskraft Offenheit und Wertschätzung auch für Kritisches? Herrscht eine Vertrauensbasis zwischen Führung und Mitarbeitenden? Wie nehmen die Mitarbeitenden das Arbeitsumfeld wahr? Herrscht eine „psychologische Sicherheit", in der Mitarbeitende Risiken in der Kommunikation eingehen, frei reden oder sich verwundbar machen können?

3. Schweigen ist ein Prozess – und es ist ein sozialer Prozess
Die Entscheidung, kritische Themen zu verschweigen oder anzusprechen, ist nicht isoliert und als Momentaufnahme zu sehen – es ist ein Prozess:

a. Der Prozess beginnt mit dem Auftreten der Situation, die am Beginn oft nicht eindeutig und klar ist: Soll ich es ansprechen oder nicht? Mache ich aus der Mücke einen Elefanten?

b. Es folgt die Phase des Abwägens: Was ist der Nutzen, was die Kosten, wenn ich es anspreche? Gefährde ich die Harmonie oder braucht es ein „reinigendes Gewitter"?

c. Wenn eine Entscheidung getroffen worden ist, dann geht es immer noch um die Umsetzung: Ja, ich will es ansprechen, aber ... Wie zentral ist das Thema für mein Selbstbild? Wo steht es in meiner Wertehierarchie? Ist es tatsächlich wert, angesprochen zu werden?

d. Die Umsetzung zeigt, dass es sich um einen sozialen Prozess handelt: Einerseits ist mein Handeln (Verschweigen oder Ansprechen) bereits Reaktion auf eine andere Handlung, andererseits hängt sie von der Einschätzung meiner eigenen sozialen Fähigkeiten und meiner Umgebung ab. Dass ich Andere berücksichtige im Prozess des Ansprechens oder Schweigens, zeigt dass es ein sozialer Prozess ist: Wie reagieren andere auf meine kritischen Gedanken?

Hier wird noch ein Phänomen wahrnehmbar, das die Meinungsforscherin Noelle-Neumann „Schweigespirale" nennt: Personen, die glauben die Mehrheitsmeinung zu vertreten, äußern ihre Meinung tatsächlich offen, während Personen, die sich als Vertretung der Minderheitsmeinung sehen, ihre Meinung zurückhalten. Dadurch wird die vermeintliche Mehrheitsmeinung stärker und präsenter, während die Minderheitsmeinung weiter an den Rand rückt.

Fortsetzung folgt ...

 

Foto von Joao Tzanno auf Unsplash

Kategorie: Beruf und Management

Datum: 14.06.2024

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"Danke dir für diese tollen Supervisionen, die Rückmeldungen meiner KollegInnen waren durchwegs positiv."

Teamleiterin über die in ihren beiden Teams gehaltenen Supervisionen

"Ich möchte mich herzlich für das letzte Jahr bei dir bedanken. Gerade in solchen Jahren mit vielen Umbrüchen und Veränderungen, sind deine stets professionelle, aber auch immer herzliche Art und Unterstützung immens wichtig. Auch die Wertschätzung deinerseits bildet meiner Meinung nach die Grundlage, dass unsere Teammitglieder die Supervision so zahlreich besuchen.   Auf eine weiterhin so feine Zusammenarbeit im nächsten Jahr."

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