Parrhesia - und was sie in meinem Alltag bedeuten kann

"Parrhe...WAS?" werden Sie sich jetzt fragen - und vielleicht schon aufhören, weiterzulesen. Oder wenn Sie weiterlesen, erfahren Sie gleich, was es mit diesem griechischen Wort der "freien Rede" auf sich hat, das in der Philosophie bereits eine gewichtige Rolle spielt, aber für mich noch ein unentdeckter Schatz zeitgemäßer Kommunikation und Resilienzförderung ist.

Der Begriff "Parrhesia" ist also aus dem Griechischen. Und er bedeutet soviel wie "Redefreiheit" oder "freimütig über alles reden". Hier möchte ich gleich vorwegnehmen, dass damit nicht die Pseudo-Meinungsfreiheit von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretiker*innen gemeint ist, die ihre Meinung als die "einzige" Wahrheit allen aufdrängen möchten und ihre eigene Unzufriedenheit nicht reflektieren, sondern sich letztlich selbst als "Opfer" von "denen da oben" oder vom "System" sehen.

Ganz im Gegenteil: "Parrhesia" hat meines Erachtens einen großen Resilienzfaktor, denn es geht darum, selbst Verantwortung zu übernehmen, aus der Opferrolle herauszutreten und lösungsorientiert zu arbeiten. Wenn sie den NotizBLOG vom 8.12.2023 gelesen haben, wissen Sie, wovon ich schreibe.

Was hat das aber nun mit mir, meinem Leben, meinem Beruf und meiner persönlichen Entwicklung zu tun?

Ein konkretes Beispiel, das so oder ähnlich passiert sein könnte:

Ein Coachee kommt zu mir, weil er nicht weiß, wie er sich nach einer beruflichen Auszeit entscheiden soll: zurück in die alte Position, in die er mit dem Abstand der Auszeit allerdings gar nicht mehr zurück will, oder im selben Betrieb eine neue Position belegen, die ihm angeboten wurde. Tatsächlich scheint es auf den ersten Blick, dass die zweite Option die richtige ist.

Erst in einer späteren Coaching-Sitzung, als der neue Arbeitsvertrag schon fix ist, stellt sich heraus, dass die körperlichen und psychischen Symptome (Tinnitus, Schweißausbrüche, unruhige Nächte, Zertstreutheit, ...) nach wie vor da sind - obwohl die neue Position doch ein Gewinn wäre.

Im Gespräch findet nun eine "innere Parrhesia" statt: Der Coachee arbeitet in der Sitzung heraus, dass nicht die alte Position allein Auslöser der ganzen Unzufriedenheit gewesen ist, sondern dass die gesamte Unternehmenskultur und der Umgang miteinander nicht seinen Haltungen entsprechen.

Diese innere, freimütige Erkenntnis fordert nun eine "äußere" Parrhesia: sich einzugestehen, dass es für das eigene Wohlergehen besser ist, das Unternehmen zu verlassen mit allen Konsequenzen, die jedoch wieder neue Chancen und Herausforderungen eröffnen können.

Also: 1. Akzeptanz der Situation, 2. raus aus der Opferrolle, 3. Verantwortung übernehmen und 4. mit einem gewissen Optimismus in die 5.  Zukunft blicken - 6. und 7. lösungs- und netzwerkorientiert (da sind sie wieder: die sieben Faktoren der Resilienz).

Diese Freimütigkeit können Sie zunächst auf sich selbst beziehen. Wie ich auch im letzten Blog geschrieben habe: Kann ich morgen noch in den Spiegel schauen, wenn ich so oder so handle?

Und dann auch der Schritt nach außen, der nicht minder schwierig sein kann: sich und anderen eingestehen, dass es Veränderung braucht oder das etwas nicht gut läuft.

Vielleicht kommen Sie in die Situation, in Ihrem Betrieb eine "toxische" (vergiftete) Atmosphäre anzusprechen, die zwar alle wahrnehmen, die aber niemand anspricht. Warum wird sie nicht angesprochen? Weil es genug Motive gibt, nicht darüber zu reden (Arbeitsplatzverlust, Harmoniebedürfnis, falscher Optimismus ...). Hier die Karten auf den Tisch zu legen und vielleicht sogar einen offenen Konflikt zu riskieren, zeugt von der Haltung der "Parrhesia" und von einem Mut, der innerlich abgeklärt ist - in meiner Erfahrung als Supervisor nicht leicht zu erreichen, aber oft bitter nötig, um ein klärendes und reinigendes Gewitter zu provozieren. Und glauben Sie mir: jemand der gelernt hat, manipulativ zu kommunizieren, scheut nichts mehr als offenherzige, freimütige Rede. 

Wenn Sie dieses Thema gerne mit mir vertiefen wollen, dann nehmen Sie mit mir Kontakt auf: info@beratungforcher.at oder +436504100561

Photo by Gerd Forcher

 

Kategorie: Beruf und Management, Leben, Philosophie

Datum: 15.12.2023

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